01.09.2022 | Mit klarer Stimme durch die Krisen
Vor einem Jahr - im September 2021 - hat Dr. Ursula Schoen das Direktorinnenamt in der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz übernommen. Nun sieht sie Kirche und Gesellschaft in der Region vor den größten Herausforderungen seit Jahrzehnten.
„Es hat selten ein Thema gegeben, was unsere Diakonie als Querschnittsaufgabe so gefordert hat, wie die Energiekrise mit den steigenden Lebenshaltungskosten. Es betrifft alle Ebenen unserer Arbeit. Es betrifft alle unsere Einrichtungen und unsere Klient:innen, Patient:innen, unsere Gäste, für die wir Verantwortung haben und die wir begleiten. Ich habe im Grunde schon seit meiner Ankunft in Berlin den Eindruck, dass es vom Senat und auch vom Land Brandenburg kaum gesehen wird, wie wichtig die Unterstützung dieses sozialen diakonischen Netzwerkes ist, das wir mit Beratung, in der Pflege, in der ambulanten Begleitung in die Gesellschaft hineintragen. Das enttäuscht mich ehrlich gesagt, gerade wegen der vertrauensvollen Arbeitsebene. Da geben wir auch einen klaren sozialpolitischer Auftrag in Richtung brandenburgische Regierung und in Richtung Berliner Senat.“
Eine Krise, die alle angeht.
Vor einem Jahr ist Dr. Ursula Schoen in die Bundeshauptstadt gezogen und begleitet mit der diakonischen Wohlfahrtsarbeit eine beispiellose gesellschaftliche Entwicklung: „Kurz nachdem ich hier im September angekommen bin, begann ein weiterer Lockdown im Zusammenhang mit der Corona-Krise. Strukturen der Beratung und Begegnung waren unterbrochen, wir mussten unsere Arbeit reorganisieren. Die nächste Krise war dann etwas wie die „Krise der anderen“: Der Überfall auf die Ukraine und die Flüchtlingsströme verlangten unseren diakonischen Einrichtungen Unglaubliches ab.“ In dieser Zeit erlebte sie, wie bereichernd und beglückend es für die Hilfsangebote, Kirchengemeinden und Einzelpersonen war nach diesem erzwungenen Lockdown, andere aufnehmen und etwas geben zu können. Die promovierte Theologin und ehemalige Kirchenmanagerin aus Frankfurt am Main sieht in der Öffnung für die geflüchteten Menschen eine Art urdiakonische Erfahrung.
„In der Krise in der wir jetzt sind, sind wir selbst Betroffene und müssen mit unseren eigenen Zukunftsängsten umgehen und mit den Fragen, wie sich unser Leben weiterentwickeln wird: Können wir unsere Lebensformate halten? Die Art wie wir essen, wie wir reisen? Können wir es uns weiter leisten, mit unseren Kindern an einem Ort zu wohnen, der für uns alle geeignet ist? Die Zukunftsangst bestimmt uns alle individuell ganz massiv.“
Sozialräume schaffen, Solidarität sichern.
Die Erfahrungen der diakonischen Einrichtungen zeigen eindeutig: Die wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise haben die Mitte der Gesellschaft erreicht, werden für alle Schichten auf Monate zur Belastung. Die Gefahr sozialer Verwerfungen wird real, öffentliche Proteste häufen sich.
Diakonie-Direktorin Dr. Schoen: „Diese Situation macht deutlich, wie wichtig es ist, auch in den Krisen solidarisch zu handeln. Es ist ernüchternd, wenn gesagt wird ‚In Westeuropa haben wir ein ausreichendes demokratisches Level erreicht und sind jetzt überraschend vor Herausforderungen gestellt.‘ Gesellschaftliche Strömungen wie die Gelbwestenbewegung in Frankreich lassen uns fragen: „Wo haben wir den Prozess unterbrochen, andere aktiv einzubeziehen?“ Ich glaube, der ist schon sehr viel früher unterbrochen worden. Gerade in Flächenregionen muss die Entwicklung von Sozialräumen, in denen demokratische Teilhabe und Selbstwirksamkeit spürbar wird, viel intensiver vorangetrieben werden. Als Direktorin beeindruckt es mich zutiefst, wie viele Menschen sich hier ehrenamtlich in den unterschiedlichsten Formaten engagieren: in den Hospizen, in den Krankenhäusern, in der Kältehilfe, in der Telefonseelsorge und an vielen anderen Orten. In der Begegnung mit Ehrenamtlichen wird immer wieder deutlich, wie Menschen das Engagement für andere erfüllt. Sie haben das Gefühl etwas beizutragen, obwohl sie vielleicht keinen großen Geldbeutel haben oder unter schwierigen Lebensbedingungen leben. Wir können uns in jeder Lebensphase für den Anderen einsetzen. Diese Möglichkeiten müssen aber auch mit politischer Unterstützung bewusst weiterentwickelt werden. Die Grundidee: Dem Einzelnen ist am besten geholfen, wenn die aktiviert werden, die in seiner direkten Nähe sind. Und doch erleben wir als Diakonie den Trend, dass Kommunen immer wieder versuchen, diese Aufgaben zu zentralisieren. Da wirken wir bewusst entgegen – für ein effektives, solidarisches Miteinander.“
Diakonie kann Kirche stärken.
Aus Sicht der Direktorin ist die Diakonie in Berlin einer der großen Player, der soziale Verantwortung übernimmt und gestaltet. In Brandenburg sieht sie manche Sozialräume von starken diakonischen Einrichtungen mit teils Jahrhunderte alter Tradition – wie die Hoffnungsthaler Stiftungen in Lobetal bestimmt, von denen auch wichtige Impulse als Arbeitgeber für die Region ausgehen. Die diakonische Arbeit in der Fläche ist von vielen kleinen Einrichtungen wie Beratungsstellen, Kindertagesstätten, Krankenhäusern bestimmt, die in den neunziger Jahren gegründet wurden und eine gute Beziehungsarbeit in Politik und Gesellschaft leisten.
In allen Regionen steht für die Diakonie-Direktorin die Förderung eines starken Verhältnisses zwischen Kirche und Diakonie auf der Agenda: „Wir erleben, dass Kirche auf dem Land immer schwächer wird. Die Zahl der Kirchenmitglieder geht zurück. Die Gemeinden werden zusammengelegt. Und damit wird es auch immer schwieriger für die Gemeinde, ein diakonisches Profil zu pflegen. Gerade deswegen ist es umso wichtiger, dass Gemeinden oder Kirchenkreise sehr proaktiv den Kontakt zu diakonischen Trägern suchen, mit denen sie kooperieren können, wo Verbindungen, gemeinsame Aufgaben, Bereicherungen ausgelotet werden können. Diesen Austausch unterstützen wir umfangreich mit Kollektenmitteln.“
Gleichzeitig kann diakonische Arbeit, beispielsweise auch im Ehrenamt aus Sicht von Dr. Schoen auch ein „kirchlicher Schnupperkurs“ sein: „In der Diakonie stehen konkrete Menschen und ihre Notlagen oder in Unterstützungsbedarf im Mittelpunkt. Damit hat die Diakonie es etwas leichter, diejenigen anzusprechen, die eigentlich keinen Kontakt zu Kirche haben. So werden Menschen über die Diakonie, über ihr Engagement auf Kirche aufmerksam.“
Berlin, 01. September 2022
Liebe Pressekolleg:innen, sprechen Sie uns gerne an, wenn Sie an weiteren aktuellen vertieften Einschätzungen unserer Direktorin, die nun ein Jahr im Amt ist, zu den genannten und weiterführenden sozialpolitischen Themen interessiert sind. Wir eröffnen Ihnen gerne kurzfristig eine Gesprächsmöglichkeit.
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