DWBO/Nils Bornemann

Armut: Der unterschätzte Einsamkeitsfaktor

Diakonie-Direktorin fordert respektvollere Debatte über Menschen in Armut und Ausbau sozialer Unterstützungsstrukturen in Berlin und Brandenburg

27.01.2025

Anlässlich der Veröffentlichung des Schattenberichts der Nationalen Armutskonferenz (nak) bestätigt die Diakonie für Berlin und Brandenburg: Armut hat schwerwiegende Folgen für die Betroffenen und unsere Gesellschaft. Mit Blick auf die Bundestagswahl heißt das unter anderem: Erwerbsarbeit muss sich wieder auszahlen, soziale Beratungsangebote müssen ausgebaut werden, Wohnen muss wieder bezahlbar werden.

Diakonie-Direktorin Dr. Ursula Schoen: „Armut betrifft Menschen nicht nur materiell. Armut ist direkt verknüpft mit psychischer und körperlicher Gesundheit und kann die soziale Teilhabe von Menschen massiv einschränken. Wir können dieses strukturelle Problem in Berlin und Brandenburg nur mit einer differenzierteren und respektvollen Debatte und über den politischen Ausbau sozialer Unterstützungsangebote lösen.

Hausbesuche in Brandenburg: Das Diakonische Werk Teltow-Fläming e. V. 
Im brandenburgischen Landkreis Teltow-Fläming wurde ein 65-jähriger Mann von der Diakonie unterstützt, der aufgrund nicht bezahlter Rechnungen in eine Stromsperre geraten war. Ohne Familie oder Freunde, die helfen können und mit mehreren chronischen Krankheiten überwand er erst in dieser größten Notlage seine Scham- und Schuldgefühle. Er wendete sich an eine allgemeine Sozialberatung, die ihn an die Schuldnerberatung vermittelt hat. Die aufsuchende Beratung half ihm, seine Altersrente zu beantragen und eine Lösung für die Stromschulden zu finden. 

Diakonie-Direktorin Dr. Ursula Schoen: „Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, gerade in ländlichen Gebieten und für kranke Menschen direkte Unterstützung vor Ort anzubieten. Die aufsuchenden Hilfen müssen abgesichert und ausgebaut werden.

Hungern aus Scham: Beispiel aus einer Berliner Beratungsstelle
In Berlin schildert eine armutsbetroffene Frau ihre Erfahrungen beim Besuch einer Lebensmitteltafel: „Ich habe Angst, dass mich Blicke vorwurfsvoll durchbohren, dass ich bei etwas illegalem erwischt werde. Habe ich überhaupt das Recht Hilfe zu verlangen? Langsam nähere ich mich mit dem klapprigen Fahrrad der Kirche, sehe dort die lange Schlange von 100 frierenden Personen. Ich bin überrascht, wie durchschnittlich alle aussehen: Hälfte Männer, Hälfte Frauen, keine kaputten Klamotten. Die Kirche macht auf und ich steige verschämt ab und nähere mich dem Eingang. Die Luft ist frisch und riecht nicht nach Müll, Alkohol oder Schweiß. Alle sehen so aus wie ich, doch zugleich habe ich Angst mit ihnen gleichgesetzt zu werden. Ich verkrampfe und muss den Ort verlassen. Ich fahre nach Hause und mein Kühlschrank bleibt leer.“  

Diakonie-Direktorin Dr. Ursula Schoen: „Diese Erfahrung verdeutlicht: Armut ist eng mit Scham und sozialer Ausgrenzung verbunden. Menschen werden stigmatisiert und letztendlich unsichtbar.“

Der Schattenbericht benennt Armut in Deutschland als ein strukturelles Problem. Sie entsteht nicht durch individuelles Versagen. Grund sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die die Betroffenen unzureichend unterstützen. Menschen, die in Armut leben, haben oft mit chronischen psychischen und körperlichen Krankheiten zu kämpfen. Besonders Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Wohnungssuchende in Ballungsräumen und Geflüchtete sind überdurchschnittlich oft von Armut betroffen. Schamgefühle und soziale Selbstisolation sind stark durch die stigmatisierende öffentliche Debatte bedingt: Betroffene wollen nicht als „faul“ oder „dumm“ abgewertet werden, ziehen sich von der Gesellschaft zurück, meiden Sozialleistungen und die Wahrnehmung sozialer Angebote. 

Diakonie-Direktorin Dr. Ursula Schoen: „Diese Isolation wird durch die derzeitige Sozialgesetzgebung weiter verstärkt: unterstützende Leistungen wie Ausgaben für soziale Teilhabe und Vernetzung sind bei der Berechnung des Regelsatzes zu niedrig angesetzt. Eine lebendige Demokratie muss allen Menschen die Möglichkeit geben, aktiv an der Gesellschaft teilzuhaben – unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund oder ihrer finanziellen Situation.“

Die Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz unterstützt armutsgefährdete Menschen und Menschen in Armut unter anderem mit 50 Beratungsstellen zur Existenzsicherung und mehreren tausend Unterkunftsplätzen für wohnungslose Menschen.

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Ihr Ansprechpartner

Sebastian Peters

Pressesprecher und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit

Peters.S@dwbo.de 030 82097110 0173 6033322

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