20 Jahre Kinder- und Jugendtelefon Berlin - fünf Porträts von ehrenamtlichen Berater:innen
Was bedeutet das Ehrenamt? Woher kommt die Kraft für das Engagement? Maximilian Gödecke fotografierte und sprach mit fünf Ehrenamtlichen, mit drei Berater:innen vom KJT Berlin und zwei Beraterinnen vom ET Berlin.
Das Kinder- und Jugendtelefon Berlin (KJT Berlin) und Elterntelefon Berlin (ET Berlin) sind anonyme und kostenfreie Telefonberatungsangebote in Berlin, die themenoffen jungen Menschen sowie Eltern Unterstützung bieten – wertschätzend, stärkend, auf Augenhöhe.
Beim KJT Berlin engagieren sich 76 und beim ET Berlin 35 ehrenamtliche Berater:innen. Sie schenken ihre Zeit und öffnen ihr Ohr für Fragen und Sorgen der Menschen, die anrufen. So kümmern sie sich um den ersten Liebeskummer oder den Streit mit dem pubertierenden Sohn, sind aber auch in akuten Krisensituationen da, wenn es z. B. um Krankheit, Tod oder Gewalterfahrungen geht.
Bevor die Ehrenamtlichen den Dienst am Telefon aufnehmen, absolvieren sie eine intensive und fundierte Ausbildung, die sie auf die Herausforderungen in diesen wertvollen Ehrenämtern vorbereitet. Nach der Ausbildung nehmen sie regelmäßig an Supervisionen und Fortbildungen teil.
Der Fotograf Maximilian Gödecke ist beeindruckt von Menschen, die sich für andere einsetzen und sich ehrenamtlich engagieren. In der Corona-Zeit ging er auf Nummer gegen Kummer, den Dachverband aller Kinder-, Jugend- und Elterntelefone, zu und schlug vor, Berater:innen zu porträtieren, sie als Menschen zu zeigen, - mit ihren Hobbys und Interessen und nachzuspüren, was sie motiviert, sich für andere einzusetzen, was ihnen ihr Ehrenamt bedeutet und woher sie die Kraft für ihr Engagement nehmen. Maximilian fotografierte und sprach mit fünf Ehrenamtlichen, mit drei Berater:innen vom KJT Berlin und zwei Beraterinnen vom ET Berlin.
Bibiana
„Es ist ein totaler Vertrauensbeweis, wenn ich mit jemand völlig Fremden eine Nähe herstellen kann und mir die Person ihre Geschichte erzählt. Und wenn man am Ende gemeinsam zu einer Lösung kommt, dann ist es ein super Gefühl!“
Am Puls der Zeit sein, mitbekommen, was Familien aktuell beschäftigt, das war unter anderem Bibianas Ansporn, sich ehrenamtlich am Elterntelefon Berlin zu engagieren. In einem Lebensabschnitt, in dem es ihr selbst sehr gut ging, war es ihr wichtig etwas zurückzugeben. Positiver Nebeneffekt der Ausbildung war für sie, so viel über die Themen der Ratsuchenden zu lernen und auch offen über persönliche Dinge zu sprechen. Ihre Offenheit und Neugierde helfen auch in Gesprächen mit Ratsuchenden, wenn es darum geht, durch Nachfragen Neues anzuregen und gemeinsam auf Lösungssuche zu gehen. Ein wichtiger Faktor für sie ist die Superversion. Hier kann sie schwierige Gespräche noch einmal reflektieren. „Ich kann sagen, so ein Ehrenamt ist sehr bereichernd. Es erfordert Mut, aber man springt ja nicht einfach ins kalte Wasser. Es gibt eine Ausbildung, Supervision und den Austausch im Team.“ Austausch, Zusammensein, sich begegnen, - auch sonst im Leben von Bibiana ein wichtiger Bestandteil. Ihre Band möchte sie nicht missen und die Musik hat für sie eine Art therapeutischen Effekt. Wenn sie auftritt, sind das Momente, in denen sie loslassen kann und alle Gefühle Raum bekommen.
Freddy
"Wer denkt, ein Ehrenamt bringt nicht viel oder dass man dafür keine Zeit hat, dem kann ich nur sagen: Doch, es bringt einem viel!"
Freddy ist seit einem Jahr Berater am Kinder- und Jugendtelefon Berlin. Auf die Idee, sich bei der „Nummer gegen Kummer“ zu engagieren, kam er durch einen Freund. Das Wichtigste an der Tätigkeit für ihn: Der Spaß an der Sache und die Möglichkeit anderen zu helfen. Er selbst beschreibt sich als ruhig und nachdenklich, freundlich und musikalisch. Seine ruhige Art hilft ihm in Gesprächen, Ratsuchenden Raum zu geben und ihnen geduldig zuzuhören. „Ich finde es sehr wertvoll, dass ich mit so vielen unterschiedlichen Menschen telefonieren kann. Ich bekomme dadurch so viele neue Eindrücke und eine andere Sicht auf die Welt.“ Wichtig vor dem ersten Telefonat: Runterkommen und ankommen - mit Süßigkeiten und Tee. Nach dem Dienst nimmt er sich Zeit, die Gespräche Revue passieren zu lassen. Ausgleich findet er in der Musik, er spielt Schlagzeug in einer Band, hat sich selbst Bass spielen beigebracht. In der Musik gibt es immer wieder Neues zu entdecken und zu lernen, hier kann er sich „reinfuchsen“. Wenn es darum geht auf andere Gedanken zu kommen, ist bei ihm eher Sport angesagt – egal, ob Frisbee mit Freunden, Tischtennis, Badminton, Bouldern oder Klettern, Hauptsache auspowern.
Janett
„Wenn die Kinder und Jugendlichen sich wirklich aufgehoben fühlen, dann bedanken die sich tausendmal und sagen, dass man sie motiviert hat, weiterzumachen und dass das Gespräch gezeigt hat, das es weiter geht. Das ist das Schöne am Beraterin-Sein.“
Kinder und Jugendliche in ihrem Prozess zu unterstützen und ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen, das war Janett wichtig, als sie die Ausbildung am Kinder- und Jugendtelefon Berlin begonnen hat. Gleichzeitig konnte sie über die Ausbildungsinhalte viel für sich selbst und die Erziehung ihres Sohnes mitnehmen. Beratung ist für sie nichts Neues: Auch hauptamtlich ist sie in diesem Bereich tätig. Aber das Ehrenamt bietet ihr die Möglichkeit, sich auszuprobieren und ihren Teil zu einer solidarischen Gesellschaft beizutragen. Was ihr bei der Arbeit am Telefon hilft? Ihre kommunikative Art und ein zuversichtlicher Blick auf die Dinge. „Meist mache ich mir einen Kaffee, setze mich hin und dann geht es los!“ Direkt, ehrlich, aufgeschlossen. Diese Eigenschaften beschreiben Janett am besten. Eine starke Frau, die selbstbewusst durchs Leben geht. Das möchte sie auch ihrem Sohn mitgeben. Es ihr wichtig, eine gute Mutter zu sein, sich zu kümmern und dabei gleichzeitig die eigenen Bedürfnisse im Blick zu behalten.
Kristina
„Hilfreich für die Arbeit beim Elterntelefon ist, keine Angst zu haben vor dem allzu Menschlichen, weil du alles erleben wirst: Die Abgründe und auch die schönen Geschichten.“
Kristina beschreibt sich selbst als Theoretikerin. Die Tätigkeit am Elterntelefon Berlin erlaubt ihr, praktisch zu arbeiten und dabei etwas Sinnvolles zu tun. Hier kann sie Erfahrungen sammeln, die ihr helfen, sich selbst zu reflektieren. „Ich finde es wichtig, dass man als Beraterin auf das eigene Bauchgefühl hört und sich nicht so einen Kopf macht.“, sagt sie. Nach dem Telefondienst läuft sie eine Stunde. Das hilft ihr, die Geschichten der Anrufenden im Büro zu lassen. Zum Dienst kommt sie pünktlich, damit sie ohne Hektik starten kann. Im Gespräch versucht sie, die Ratsuchenden sehr konkret abzuholen. Da sagt sie auch schon mal etwas wie: „Boah. Sie haben ziemlich viel an der Backe. Holen Sie einfach mal Luft. Wir haben alle Zeit der Welt.“ Im Gespräch mit den Ratsuchenden achtet sie auf die Atmung, die Artikulation. Sie hat ihre ganz eigene Sprache und eigene Art der Zugewandtheit am Telefon entwickelt. Das erlaubt ihr, den Ratsuchenden so gut wie möglich etwas an die Hand zu geben oder eine Perspektive aufzuzeigen. Sich selbst beschreibt sie als grenzenlos optimistisch, abgrundtief deutsch, im positiven und im negativen Sinne und klug. Ihr Ziel: Noch lange Beraterin am Elterntelefon sein - und noch einmal studieren.
Jule
„Es geht einfach darum, da zu sein und zuzuhören. Das ist super schön, dass ich ein sicherer Raum sein kann und die Ratsuchenden sich bei mir einfach mal kurz zeigen können, wie sie sind. Ohne, dass sie Angst haben müssen, dass die Mutter sie im Nachhinein komisch findet oder die Freunde sie nicht mehr sehen wollen.“
Studium der Tiermedizin, Mentorin, Vertrauensstudentin, ehrenamtlicher Besuchsdienst im Altenheim, Sport, Freunde treffen … Jules Terminkalender ist gut gefüllt. Warum dann noch Kinder und Jugendliche beraten? „Es motiviert mich zu merken, dass ich die Stunde, den Tag und vielleicht, im allerkrassesten Fall, sogar das Leben von einem anderen Menschen besser machen kann, indem ich es irgendwie schaffe, einen Weg zu zeigen, eine Option zu sein, oder vielleicht das erste Ohr zu sein, das zuhört.“ Dabei hilft ihr ihre temperamentvolle Art gepaart mit einer guten Portion Empathie. Bevor es für Jule ans Telefon geht, ist sie gedanklich meist ganz woanders: Lernt auf dem Hinweg in der Bahn oder hört Musik. Nach der Schicht telefoniert sie meist kurz mit jemandem aus dem Beratungsteam, zieht Bilanz: Gute Schicht, mittel oder nicht so gut. Und wenn sie bei eigenen Themen Hilfe braucht? Dann telefoniert sie ihre Telefonliste ab. Und wenn sie wirklich abschalten und mal nicht nachdenken möchte, geht sie Laufen. Sowieso ist sie immer in Bewegung, probiert Neues aus, traut sich etwas. Dass sie den Mut behält immer wieder neue Erfahrungen zu sammeln und ihren Weg zu gehen, das wünscht sie sich für die Zukunft.